Matthäus 5, 11-12
Glücklich zu preisen seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist gross. Genauso haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.
Wie unter Vers 10 schon erwähnt, werden in den Versen 11-12 die Zuhörenden in der zweiten Person Plural direkt angesprochen: “Glücklich zu preisen seid ihr…” Im Blick steht, wie ebenfalls bei Vers 10 angetönt, jetzt nicht mehr ein Verhalten, sondern ein Erleiden. In Leidenssituationen ist so ein direkter Zuspruch sicher besonders willkommen und auch nötig.
“Mit Schmähung und Verfolgung muss die Gemeinde grundsätzlich rechnen”1) Was sich so nüchtern und lapidar festhalten lässt, unterstreichen zahlreiche Stellen im Neuen Testament (z.B. Hebräer 10, 32-34 und besonders nahe an unserem Text: 1. Petrus 3, 14, vgl. auch die folgenden Verse), unterstreichen ebenso unzählige Vorfälle im Laufe der Kirchengeschichte bis in die Gegenwart.
Wie sich dieses schon in Vers 10 thematisierte Verfolgen zeigt, erläutert unsere Stelle genauer: Schmähen, beschimpfen, Böses nachreden, also “verbale Attacken”, aber nicht einfach harmlose Sprüche, sondern “mit sozialer Ausgrenzung verbundene Diffamierungen”2), verbunden mit “wirtschaftlicher Boykottierung”3). Dass Verfolgung in dieser Weise anfängt, lässt sich auch heute beobachten. Oft lassen es die Urheber und Antreiber aber nicht dabei bewenden, und es kommt zur Eskalation, zu Gefangennahme, Vertreibung, Gefährdung und Auslöschung von Leib und Leben.
Wenn Jesus nun diese düstere Prognose mit einer Seligpreisung verbindet, handelt er da nicht herz- und teilnahmslos? – Zuerst gilt wieder einmal festzuhalten, dass er nicht sozusagen im luftleeren Raum oder in Eigenregie eine weltfremde Theorie entwickelt, sondern einen Text aus dem Alten Testament aufgreift, wo Gott sagt: “Hört auf mich, die ihr die Gerechtigkeit kennt! Volk, das meine Weisung im Herzen trägt! Fürchtet euch nicht vor dem Schmähen der Menschen, und erschreckt nicht vor ihrem Lästern.” Jesaja 51, 7. Diesen Zuspruch greift Jesus auf, führt ihn weiter und kehrt ihn ins Positive: Nicht nur nicht fürchten, sondern sogar freuen sollen sich diejenigen, die verfolgt werden. Das tönt erst recht abwegig. Natürlich kann man nun berechtigterweise dagegen halten, es gehe bestimmt nicht darum, sich in einer Art masochistischen (und wenn man nicht direkt betroffen ist gar bald sadistischen) Weise über erlittenes Leid an sich zu freuen, sondern im Fokus stehe die Freude über den verheissenen Lohn im Himmel. Aber ist das in unseren heutigen Ohren nicht noch einmal abwegig, eine billige Jenseitsvertröstung? – Das wäre allerdings zu kurz geschlossen, denn die hier Angesprochenen sind ja nicht Menschen, die mit dem Leben auf dieser Erde abgeschlossen haben und einfach noch passiv erdulden, was auf sie zukommt. Es sind ja gerade diejenigen, die gemäss den voranstehenden Seligpreisungen leben und sich damit aktiv und überaus engagiert zeigen. Zwar ändert ihre Lebensweise nicht von heute auf morgen die Welt, aber Gott achtet auf ihr Tun und wird es belohnen.
Wenn es um Lohn für geleistete Arbeit geht, sind wir in der Regel schnell dabei, können einschätzen, was wir zugute haben und es auch einfordern. Wenn es um das “geistliche Leben” geht, sind wir im allgemeinen zurückhaltender. Haben wir nicht besonders als Reformierte gelernt, dass “alles Gnade” ist, dass man Gott nicht um Verdienste dienen soll noch kann, geschweige denn, Lohnvorstellungen vorbringen könnte. Trefflich dazu der Kommentar von Lloyd-Jones in seiner Predigt zu diesen Versen: “Die Antwort der Schrift ist, dass eben auch die Belohnung allein aus Gnaden geschieht.”4) Man könnte, im Blick auf den, der den Lohn austeilt, auch sagen: Wir haben einen grosszügigen Gott, der sich freut an Menschen, die seinen Willen tun. Er ist es, der zu allem, was geschieht, das letzte Wort behält, es beurteilt, bewertet und auch reichlich belohnt.
Woraus besteht denn aber dieser Lohn? – Die Frage ist berechtigt, erfahren wir doch an unserer Stelle nichts weiter dazu. Wird er vielleicht hier und anderswo in der Bibel nicht genauer bestimmt, weil er so sehr mit der himmlischen Welt verbunden ist, dass er in menschlichen Worten gar nicht adäquat beschrieben werden kann? – Eine aus meiner Sicht durchaus sinnvolle Vermutung.
Übersehen sollte man überdies nicht, dass diese Seligpreisung sich nicht auf Verfolgung irgendwelcher Art erstreckt, sondern sich explizit auf jene Verfolgung bezieht, die um Jesu willen erlitten wird, weil Menschen ihm nachfolgen und sich in seinem Sinne für Gerechtigkeit, Wahrheit und Frieden einsetzen.
Trost vermitteln, ja zur Freude motivieren, soll auch der letzte Hinweis in Vers 12, dass es nämlich “schon immer” so gelaufen ist, dass auch die Propheten früherer Zeit verfolgt worden sind (vgl. 2. Chronik 36,15–16) und Christen, denen es gleich ergeht, sich quasi in ihre illustre Reihe einordnen dürfen. Sie sind nicht allein, sondern begleitet und getragen von denen, die Vergleichbares erlitten, standgehalten und überwunden haben. In diesem Bewusstsein kann auch aktuelles Leiden eingeordnet und leichter, ja mutmasslich eben sogar mit einer Freude, welche die irdischen Dimensionen übersteigt, getragen werden.
1)Luz, a.a.O., S. 214
2)Wengst, a.a.O. S. 52
3)Wengst, a.a.O. S. 53
4)Lloyd-Jones, a.a.O. S. 174