Salz der Erde und Licht der Welt I

Matthäus 5, 13

Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz fade geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden.

Ihr seid das Salz der Erde – das “Ihr” ist im griechischen Grundtext durch die Wortwahl und die Voranstellung besonders betont. Ihr – damit ist der gleiche Kreis angesprochen wie in den Versen vorher. Ihr – das sind nicht nur die damals anwesenden Apostel und Schüler von Jesus, sondern mit ihnen die ganze christliche Gemeinde. Ihr – das heisst in diesem Zusammenhang auch: “Ausgerechnet ihr, die ihr verfolgt und geschmäht werdet, seid das Salz der Erde.”1) Offenbar eine besondere Würde, die Jesus den von Menschen Verachteten zumisst! 

Wie aber ist diese Metapher “Salz der Erde” zu verstehen? – Recht schnell klar ist, dass mit der Erde nicht der Erdboden gemeint sein kann, sondern die Welt (vgl. V. 14). So ist denn hier schon die missionarische Funktion der christlichen Gemeinde angesprochen, die dann am Ende des Evangeliums, 28, 18-20 nochmals explizit als Auftrag formuliert wird. Von den Verwendungszwecken des Salzes her kann man versuchen, dem Aussagegehalt des Bildes näher auf die Spur zu kommen. Salz hatte und hat bis heute in der alltäglichen Verwendung hauptsächlich die Aufgaben zu würzen, zu konservieren, damals wohl auch noch zu reinigen. Es versteht sich von selbst, dass das Auftauen gefrorener Strassen noch nicht im Blick war…

Auf welche Funktion aber hat Jesus wohl angespielt? – Dies abschliessend zu entscheiden fällt nicht leicht. Während Lloyd-Jones in seiner Predigt zu diesem Vers die christliche Gemeinde in erster Linie als “Konservierungsmittel” versteht, das die Welt vor dem Zerfall bewahrt, legt sich aus der Sicht anderer Ausleger und auch von der Parallelstelle Markus 9, 49-50 her eher die Funktion des Würzens nahe, nach welcher die christliche Gemeinde die Welt schmackhaft bzw. das Leben in ihr lebbar machen würde. Beides sind grosse Aufgaben, wobei für die damalige, noch sehr kleine und unbedeutende christliche Gemeinde die erste im Blick auf die ganze Welt vermutlich noch unerfüllbarer erscheinen musste als die zweite. Immerhin kann eine Prise Salz schon den Geschmack eines ganzen Topfes Suppe verändern.  Aber es ist m. E. auch nicht auszuschliessen, dass Jesus mit seinem Bild beide Funktionen im Blick hat.

Wie Christen konkret diese Salzfunktion für die Welt wahrnehmen können, zeigt summarisch Vers 16 (siehe dort) und ausführlicher die ganze Bergpredigt. Deutlich wird auf jeden Fall mit beiden Bildern, jenem vom Salz und dem anschliessenden vom Licht, dass die christliche Gemeinde nicht zum Selbstzweck und nicht nur zur eigenen Erbauung existiert, sondern für die Welt da ist und in sie hinein wirken soll.2)

Susanne Schmid weist in ihrer Auslegung darauf hin, dass im Judentum die Torah und dann auch scharfsinnige Torahlehrer als Salz der Erde bezeichnet wurden.3) Dementsprechend könnte sich auch das Salz, als das die Jünger und Jüngerinnen von Jesus bezeichnet werden, der Sache nach auf ihre Verkündigung beziehen. Andere beziehen es auf ihre Weisheit, Opferbereitschaft (das Salz löst sich bei seiner Anwendung auf) oder den Lebenswandel.

Seltsam tönt für unsere Ohren die Fortsetzung des Verses. Je nach Übersetzung ist von Salz, das “fade” (wörtlich sogar: “dumm”), geworden ist, bzw. erklärend, das seine Kraft oder Wirkung oder seinen Geschmack verloren hat und nicht mehr salzt, die Rede. Die anschliessende Frage kann aus dem Griechischen verschieden übersetzt werden, entweder bezogen auf das Salz selber: Wenn das Salz fade geworden ist, “womit soll es, [das Salz] gesalzen werden”, d.h. wieder salzkräftig gemacht werden? Oder wie die Zürcher Bibel: “Wenn aber das Salz fade wird, womit soll man dann salzen”, d.h. womit soll man das Salz dann ersetzen?

Die erste Variante deutet den Vergleich im Sinne einer “unmöglichen Möglichkeit”4). Reines Salz kann seine Qualität gar nicht verlieren und fade werden. Die christliche Gemeinde kann es eigentlich von ihrer Anlage her auch nicht. “Aber es ist eben doch eine Möglichkeit: Sie [d.h. seine Schüler, CF] können die Lehre Jesu vergessen, sie können vergessen, dass ihnen das Himmelreich verheißen ist. Sie können sich dumm stellen und sie können sich dumm anstellen.”5)

Die zweite Variante rechnet damit, dass Salz in der damals in der Antike vorliegenden unreinen Form (vermutlich in der Regel aus dem Toten Meer gewonnen) tatsächlich mit der Zeit durch die Lagerung in seinem Geschmack beeinträchtigt werden kann. Für diese Annahme spricht die Fortsetzung des Verses: Wenn es nicht vorgekommen wäre, dass man Salz tatsächlich wegwerfen musste, hätte Jesus wohl kaum davon gesprochen.

Wie auch immer: Deutlich ist die nachfolgende indirekte Drohung. Ausdrücke wie “hinausgeworfen werden” (vgl. z.B. Matthäus 5, 29; 3, 10)  und “zertreten werden” (vgl. z.B. Jesaja 36, 3.6) spielen auf Gerichtszusammenhänge an. Die hohe Ehre, Salz der Erde zu sein, bringt demnach eine ebenso grosse Verantwortung mit sich, sich ihrer im praktischen Lebensvollzug auch würdig zu erweisen.

  1. Luz, a.a.O. S. 221
  2. Viele christliche Gemeinden und Kirchen halten auch heute diesen Auftrag in ihren Leitbildern oder Zielformulierungen fest, u.a. auch die Kirchgemeinde Weiningen, in der ich tätig bin.
  3. Schmid, a.a.O. Kapitel 3
  4. So z.B. Luz, a.a.O., S. 222
  5. Wengst, a.a.O. S. 61

Die Seligpreisungen IX

Matthäus 5, 11-12

Glücklich zu preisen seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist gross. Genauso haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.

Wie unter Vers 10 schon erwähnt, werden in den Versen 11-12 die Zuhörenden in der zweiten Person Plural direkt angesprochen: “Glücklich zu preisen seid ihr…” Im Blick steht, wie ebenfalls bei Vers 10 angetönt, jetzt nicht mehr ein Verhalten, sondern ein Erleiden. In Leidenssituationen ist so ein direkter Zuspruch sicher besonders willkommen und auch nötig.

“Mit Schmähung und Verfolgung muss die Gemeinde grundsätzlich rechnen”1) Was sich so nüchtern und lapidar festhalten lässt, unterstreichen zahlreiche Stellen im Neuen Testament (z.B. Hebräer 10, 32-34 und besonders nahe an unserem Text: 1. Petrus 3, 14, vgl. auch die folgenden Verse), unterstreichen ebenso unzählige Vorfälle im Laufe der Kirchengeschichte bis in die Gegenwart.

Wie sich dieses schon in Vers 10 thematisierte Verfolgen zeigt, erläutert unsere Stelle genauer: Schmähen, beschimpfen, Böses nachreden, also “verbale Attacken”, aber nicht einfach harmlose Sprüche, sondern “mit sozialer Ausgrenzung verbundene Diffamierungen”2),  verbunden mit “wirtschaftlicher Boykottierung”3). Dass Verfolgung in dieser Weise anfängt, lässt sich auch heute beobachten. Oft lassen es die Urheber und Antreiber aber nicht dabei bewenden, und es kommt zur Eskalation, zu Gefangennahme, Vertreibung, Gefährdung und Auslöschung von Leib und Leben.

Wenn Jesus nun diese düstere Prognose mit einer Seligpreisung verbindet, handelt er da nicht herz- und teilnahmslos? – Zuerst gilt wieder einmal festzuhalten, dass er nicht sozusagen im luftleeren Raum oder in Eigenregie eine weltfremde Theorie entwickelt, sondern einen Text aus dem Alten Testament aufgreift, wo Gott sagt: “Hört auf mich, die ihr die Gerechtigkeit kennt! Volk, das meine Weisung im Herzen trägt! Fürchtet euch nicht vor dem Schmähen der Menschen, und erschreckt nicht vor ihrem Lästern.” Jesaja 51, 7. Diesen Zuspruch greift Jesus auf, führt ihn weiter und kehrt ihn ins Positive: Nicht nur nicht fürchten, sondern sogar freuen sollen sich diejenigen, die verfolgt werden. Das tönt erst recht abwegig. Natürlich kann man nun berechtigterweise dagegen halten, es gehe bestimmt nicht darum, sich in einer Art masochistischen (und wenn man nicht direkt betroffen ist gar bald sadistischen) Weise über erlittenes Leid an sich zu freuen, sondern im Fokus stehe die Freude über den verheissenen Lohn im Himmel. Aber ist das in unseren heutigen Ohren nicht noch einmal abwegig, eine billige Jenseitsvertröstung? – Das wäre allerdings zu kurz geschlossen, denn die hier Angesprochenen sind ja nicht Menschen, die mit dem Leben auf dieser Erde abgeschlossen haben und einfach noch passiv erdulden, was auf sie zukommt. Es sind ja gerade diejenigen, die gemäss den voranstehenden Seligpreisungen leben und sich damit aktiv und überaus engagiert zeigen. Zwar ändert ihre Lebensweise nicht von heute auf morgen die Welt, aber Gott achtet auf ihr Tun und wird es belohnen.

Wenn es um Lohn für geleistete Arbeit geht, sind wir in der Regel schnell dabei, können einschätzen, was wir zugute haben und es auch einfordern. Wenn es um das “geistliche Leben” geht, sind wir im allgemeinen zurückhaltender. Haben wir nicht besonders als Reformierte gelernt, dass “alles Gnade” ist, dass man Gott nicht um Verdienste dienen soll noch kann, geschweige denn, Lohnvorstellungen vorbringen könnte. Trefflich dazu der Kommentar von Lloyd-Jones in seiner Predigt zu diesen Versen: “Die Antwort der Schrift ist, dass eben auch die Belohnung allein aus Gnaden geschieht.”4) Man könnte, im Blick auf den, der den Lohn austeilt, auch sagen: Wir haben einen grosszügigen Gott, der sich freut an Menschen, die seinen Willen tun. Er ist es, der zu allem, was geschieht, das letzte Wort behält, es beurteilt, bewertet und auch reichlich belohnt.

Woraus besteht denn aber dieser Lohn? – Die Frage ist berechtigt, erfahren wir doch an unserer Stelle nichts weiter dazu. Wird er vielleicht hier und anderswo in der Bibel nicht genauer bestimmt, weil er so sehr mit der himmlischen Welt verbunden ist, dass er in menschlichen Worten gar nicht adäquat beschrieben werden kann? – Eine aus meiner Sicht durchaus sinnvolle Vermutung.

Übersehen sollte man überdies nicht, dass diese Seligpreisung sich nicht auf Verfolgung irgendwelcher Art erstreckt, sondern sich explizit auf jene Verfolgung bezieht, die um Jesu willen erlitten wird, weil Menschen ihm nachfolgen und sich in seinem Sinne für Gerechtigkeit, Wahrheit und Frieden einsetzen.

Trost vermitteln, ja zur Freude motivieren, soll auch der letzte Hinweis in Vers 12, dass es nämlich “schon immer” so gelaufen ist, dass auch die Propheten früherer Zeit verfolgt worden sind (vgl. 2. Chronik 36,15–16)  und Christen, denen es gleich ergeht, sich quasi in ihre illustre Reihe einordnen dürfen. Sie sind nicht allein, sondern begleitet und getragen von denen, die Vergleichbares erlitten, standgehalten und überwunden haben. In diesem Bewusstsein kann auch aktuelles Leiden eingeordnet und leichter, ja mutmasslich eben sogar mit einer Freude, welche die irdischen Dimensionen übersteigt, getragen werden.

1)Luz, a.a.O., S. 214

2)Wengst, a.a.O. S. 52

3)Wengst, a.a.O. S. 53

4)Lloyd-Jones, a.a.O. S. 174