Die Seligpreisungen VIII

Matthäus 5, 10

Glücklich zu preisen sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.

Die Seligpreisung in Vers 10 markiert einen Übergang. Sie ist noch in der dritten Person formuliert, während Verse 11 und 12 in die zweite wechseln. Jedoch gehört sie, was den Inhalt betrifft, zu eben diesen folgenden Versen. Während die Seligpreisungen in den Versen 3-9 ein Verhalten beschreiben, so diese nun ein Erleiden. Präziser: Ein Erleiden, das resultiert aus dem vorher beschriebenen Verhalten. Auffällig ist zudem, dass der Nachsatz: “…denn ihnen gehört das Himmelreich” eine wörtliche Wiederholung aus Vers 3, der ersten Seligpreisung, ist.

Wengst zieht daraus folgende Schlüsse1):

  • Die beiden Nachsätze “…denn ihnen gehört das Himmelreich” bilden einen Rahmen, innerhalb dessen die Nachsätze der übrigen Seligpreisungen veranschaulichen, was unter dem Himmelreich zu verstehen ist:
  • Zu diesem Reich gehören bzw. Bürger darin sind jene, die das in den Vordersätzen beschriebene Verhalten praktizieren, d.h. demütig sind, sich nicht gleichgültig mit dem Unrecht in der Welt abfinden, Barmherzigkeit üben, aufrichtig sind, Frieden stiften, etc. .
  • Dieses Verhalten kann man unter dem Begriff “Gerechtigkeit”, der schon in Vers 6 aufgetaucht ist, zusammenfassen. Das Himmelreich ist demnach durch diese Gerechtigkeit charakterisiert.
  • Aufgeschlüsselt nach den Seligpreisungen bedeutet dies für jene, denen es zugesprochen wird: Getröstet und gesättigt werden, Erbarmen finden, das Land erben, mit Gott in einer ungetrübten Beziehung stehen.
  • Wer sich so verhält, wie in diesen Seligpreisungen beschrieben, kann (oder wird) Verfolgung von Menschen erfahren.

In seiner Predigt zu dieser Seligpreisung2) legt Lloyd-Jones Wert darauf, zu unterscheiden zwischen Verfolgung der Christen aus eigener Torheit, Ungeschicktheit, Fanatismus, etc. (das gibt es auch…) und der hier angesprochenen Verfolgung der Gerechtigkeit wegen. Was Gerechtigkeit und gerecht sein bedeuten, charakterisiert er nochmals anschaulich, kurz und bündig: Es bedeutet, so sein wie Jesus. Das wiederum zieht auch nach sich, was Jesus neben unserer Selipgreisung z.B. in Lukas 6, 26 seinen Nachfolgern in Aussicht gestellt hat: “Wehe, wenn alle Menschen gut von euch reden, denn so haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.”

Das stimmt schon nachdenklich, nicht wahr? – Wir möchten im allgemeinen gern, dass man gut über uns als Christen redet, dass wir gesellschaftlich anerkannt sind. Aber Jesus bewertet das anders. Er sagt seinen Nachfolgern, sie sollen sich freuen, wenn sie seinetwegen nicht nur nicht hochgeachtet, sondern sogar verfolgt werden.

1)Wengst, vgl. a.a.O., S.36; vgl. S. 52

2) Lloyd-Jones, a.a.O., S. 153ff

Die Seligpreisungen VII

Matthäus 5, 9

Glücklich zu preisen sind die, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.

Bei dieser Seligpreisung ist der direkte Bezug zum Altent Testament etwas weniger deutlich als bei der voranstehenden. Immerhin findet sich in Psalm 34, 15 die Aufforderung: “Meide das Böse und tue das Gute, suche Frieden und jage ihm nach.” Auch in der rabbinischen Literatur hatte der Auftrag, Frieden zu stiften, einen prominenten Platz, so dass die Thematik für diejenigen, die Jesus damals zuhörten, vermutlich nicht fremd war.

Angesprochen sind die “Friedensstifter”, noch wörtlicher übersetzt die “Frieden Machenden”. Das in den älteren Lutherbibeln stehende “die Friedfertigen” ist missverständlich, weil es leicht mit einer passiven Haltung bzw. friedlichen Gesinnung (ein Hund, der nicht bellt und beisst) verbunden werden kann. Gemeint ist aber ein aktives Bemühen, es geht um Leute, “die zwischen verfeindeten und streitenden Menschen schlichten, sie miteinander versöhnen und so ein Zusammenleben im friedlichen Miteinander gestalten helfen.”1)  Luther selber hat die Stelle so verstanden: „Hier preist der Herr […] diejenigen, die sich darum  bemühen, dass sie gerne Frieden schaffen, nicht allein für sich, sondern auch unter anderen Leuten, dass sie helfen, böse und verworrene Angelegenheiten  zurechtzubringen, Hader zu beenden, Krieg und Blutvergießen zu wehren.“  Und er schliesst daraus „dass, wer ein Christ und Gottes Kind sein will, nicht allein keinen Krieg und Unfrieden anfange, sondern zum Frieden helfe und  rate, wo immer er kann, auch wenn genug Recht und Ursachen zum Krieg  gegeben wären“.2) 

Man könnte auch schon mal vorausweisen auf die Verse 44-48 in diesem Kapitel, wo mit dem Gebot der Feindesliebe so etwas wie eine nächste Stufe in dieser Verhaltenslogik gezündet wird.

Fragt sich noch, ob hier beim Friedensstiften in erster Linie daran gedacht ist, vermittelnd und versöhnend zwischen zerstrittenen Parteien tätig zu sein, oder ob es eher darum geht, selber mit anderen in Frieden zu leben bzw. sich (wieder) zu versöhnen. Möglicherweise liegt der Akzent hier auf dem Vermitteln, aber das andere ist sicher nicht ausgeschlossen, vgl. Römer 12, 18: “Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Menschen!” Und wer in seinem eigenen Umfeld nicht Frieden sucht, wirkt auch als Friedensstifter zwischen anderen Parteien nicht glaubwürdig.

Die Friedensstifter werden Kinder (wörtlich: Söhne) Gottes heissen bzw. genannt werden. Von wem? – Sicher von Gott selber, der ja seinerseits der Gott des Friedens ist, vgl. z.B. Richter 6, 24; Hebräer 13, 20. Auch der angekündigte Messias wird im Alten Testament an einer bekannten Stelle als “Friedefürst” bezeichnet (Jesaja 9, 5), und bei seinem Kommen stand der Friede wiederum im Zentrum als die himmlischen Heerscharen ihren Jubel erschallen liessen: “Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens.” (Lukas 2, 14)

Wer von höchster Autorität Kind Gottes genannt wird, ist es auch, vgl. 1. Johannes 3, 1: “Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!” Man könnte mit Lloyd-Jones erklären: “…ein Friedensstifter ist ein Kind Gottes, weil er das Wesen seines Vaters widerspiegelt.”3) 

Vielleicht ist es noch hilfreich, darauf hinzuweisen, dass vor dem Hintergrund des Alten Testamentes “Friede” mehr umfasst als nur die Abwesenheit von Krieg oder Streit. Der zugrunde liegende hebräische Begriff “Schalom” umfasst auch Wohlergehen, Glück, ein erfülltes Leben. Friedensstifter haben somit eine schöne, ehrenwerte Aufgabe in dieser Welt.

1) Wengst, a.a.O., S. 49f

2) zitiert bei Wengst, a.a.O., S. 48

3) a.a.O. S. 151

Die Seligpreisungen VI

Matthäus 5, 8

Glücklich zu preisen sind die, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott sehen.

Liest man diese Seligpreisung, bekommt man schnell den Eindruck, dass sie grosse Dimensionen anrührt. Ein reines Herz – das muss doch wohl irgendwie das ganze Leben eines Menschen betreffen. Auch die Verheissung, Gott zu schauen, ist vielleicht Ziel und Wunsch eines gläubigen Menschen,  übersteigt aber auf jeden Fall alles, was wir uns vorstellen können. Lloyd-Jones bezeichnet diesen Vers sogar als einen der grossartigsten, aber auch ernstesten in der ganzen Bibel, als “Herzstück der christlichen Lehre”1) – Warum ist diese Seligpreisung dann nicht stärker herausgehoben bei Matthäus und versteckt sich sozusagen unter all den anderen? – Der Erklärungsversuch von Lloyd-Jones dazu wirkt kompliziert und überzeugt mich nicht wirklich. Eine bessere Antwort habe ich aber auch nicht. Vielleicht findet sich dieser Vers darum eingereiht unter die anderen Seligpreisungen, weil man ihn eben doch nicht zu stark herausheben und ohne die anderen lesen und bedenken sollte. Genauer anschauen wollen wir ihn hier natürlich trotzdem:

Ein reines Herz

In Zeiten, die pandemiebedingt der Reinigung vermehrte Aufmerksamkeit schenken und dafür gleichsam neue Rituale entwickeln, ist es ratsam, auch einmal zu bedenken, was denn ein “reines Herz” bedeuten könnte. Es überrascht vermutlich unterdessen nicht mehr, wenn wir auch hier schnell Bezugspunkte zum Alten Testament, insbesondere den Psalmen, finden. Das Herz bezeichnet nach jüdischem Sprachgebrauch das Zentrum einer Person, den Ort, von dem das Wollen, Denken, Trachten und vielleicht auch Fühlen ausgehen2).

Dieses Zentrum, diese Quelle, aus der unser Leben strömt3), kann nun offensichtlich rein oder eben auch unrein sein. Rein, das heisst: lauter, aufrichtig, geradeaus, zuverlässig, und damit nicht verschlagen, sondern rechtschaffen handelnd4), in ungeteiltem Gehorsam gegenüber Gott ohne Sünde.5) Lloyd-Jones nennt auch noch Stichworte wie: Einfältigkeit (im Sinne einer lauteren, offenen Art), Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit im Denken, eine offenherzige Hingabe. Das reine Herz ist ungeteilt, kennt keine Heuchelei.6) Man könnte, etwas weniger abstrakt, auch kurz und bündig sagen: Reinen Herzens sein würde bedeuten, so zu leben, wie es Jesus selber getan hat.

Zur Illustration weiter ein paar konkrete Stellen aus den Psalmen:

Psalm 24, 3-4: “Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn, wer an seine heilige Stätte treten? Wer reine Hände hat und ein lauteres Herz, wer nicht auf Nichtiges seinen Sinn richtet und nicht falsch schwört.” Da werden ein reines Herz und reine Hände unmittelbar parallel gesetzt. Es geht somit nicht einfach um eine edle Gesinnung, sondern um das damit verbundene konkrete Tun, das sich an den Weisungen Gottes orientiert. Ganz in diese Sinne bittet der Verfasser von Psalm 86, 11b: “Lass eines in meinem Herzen wichtig sein, dass ich deinem Namen mit Ehrfurcht begegne.” (Basisbibel).

Nun ist es aber bei nüchterner Betrachtung besehen doch so, dass das menschliche Herz eben nicht rein ist. Der Dichter des 51. Psalmes bittet deshalb, dass Gott seine Verfehlungen austilge und ihm das reine Herz schenke (Psalm 51, 11-12): “Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden, und tilge alle meine Vergehen. Schaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.”  

Der Weg zu einem reinen Herzen geht demnach über die Bitte um Vergebung, die Bitte, dass Gott selber reinigend eingreife. Lloyd-Jones meint zugespitzt: “Wer sind die reinen Herzens? Im Wesentlichen jene, … die wegen der Unreinheit ihrer Herzen trauern.”7)

Aus biblischer Perspektive wird klar: Aus eigener Bemühung, bei aller frommen “Putzwut”, kriege ich mein Herz selber doch nicht rein. Da muss sozusagen das “himmlische Putzinstitut” in Aktion treten. Gott selber, durch seinen Geist, kann das Werk vollbringen. Dabei ist es aber nicht so, dass ich als Mensch bloss in der Zuschauerrolle bliebe. Es ist ein geheimnisvolles Ineinander, wie es prägnant in Philipper 2, 12-13 formuliert ist: “Wirkt nun weiterhin mit Furcht und Zittern auf eure eigene Rettung hin! Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, zu seinem eigenen Wohlgefallen.”

Für den Reformator Martin Luther hiess das zum Beispiel: “Gott in den Elenden, Irrenden und Mühhseligen suchen”; “da schaut man Gott, da wird das Herz rein und aller Hochmut liegt darnieder.”8)

Gott schauen

Was soll man sich darunter vorstellen? War es nicht sogar einem Gott besonders nahestehenden Mann wie Mose verwehrt, ihn zu sehen? Lediglich Gott hinterher schauen wurde ihm gestattet, vgl. 2. Mose 33, 17-23. Auch im Neuen Testament finden sich Stellen, die bestätigen, dass man Gott nicht sehen kann, z.B. Johannes 1, 18; 6, 46; 1. Timotheus 6, 16. Trotzdem gab es im Judentum die Hoffnung, dass wir am Ende der Zeiten einmal Gott werden sehen können. Auch das Neue Testament vermittelt diese Hoffnung und Erwartung:

“Denn jetzt sehen wir alles in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz erkannt worden bin.” 1. Korinther 13, 12

“Ihr Lieben, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht zutage getreten, was wir sein werden. Wir wissen aber, dass wir, wenn es zutage tritt, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.” 1. Johannes 3, 2

“Sie werden sein Angesicht schauen, und auf ihrer Stirn wird sein Name stehen.” Offenbarung 22, 4

Wie man sich das vorzustellen hat, führt die Bibel nicht weiter aus. Wahrscheinlich wären die Mittel unserer Sprache auch zu begrenzt, um diesen Vorgang zu beschreiben. Es lässt sich nur schliessen, dass dieses Schauen mit einer ebenso unbeschreiblichen Freude verbunden sein muss. Alle Entfremdung von Gott muss dann überwunden sein, und die Rätsel unseres Lebens, die uns hier umtreiben, werden gelöst oder nicht mehr relevant sein.

  1. a.a.O., S.127 und S. 130 – Die ganze Auslegung zu diesem Vers ist übrigens sehr lesenswert.
  2. Vgl. Luz, a.a.O., S. 211; Wengst, a.a.O. S. 46
  3. Vgl. Lloyd-Jones, S. 131
  4. Wengst, a.a.O., S. 46f
  5. Luz, a.a.O., S. 211
  6. Lloyd-Jones, a.a.O., S. 133
  7. a.a.O., S. 129
  8. zitiert bei Luz, a.a.O. S. 212