Ohne nähere Angaben werden die Bibelstellen aus der Zürcher Bibel zitiert.
Matthäus 5, 1
Als er nun die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm.
Die Einleitung zur Rede von Jesus schliesst an den letzten Abschnitt von Kapitel an (4, 23-24). Dieser bildet mit 9, 35 den Rahmen um die Bergpredigt. In Vers 25 wird erwähnt, dass zahlreiche Menschen aus verschiedenen Gegenden Jesus folgten. Wie viele es genau waren, lässt sich aber heute nicht mehr sagen. Jesus bemerkt diese Menschenmenge – und steigt alsdann auf den Berg. Aus der Formulierung des ersten Versteils wird nicht sofort klar, in welcher Beziehung Jesus zu diesen Leuten steht. Will er sich vor ihnen zurückziehen, um etwas Ruhe zu haben (vgl. 14, 13), oder sucht er einen günstigen Ort, um zu ihnen zu sprechen. Der Abschluss der Bergpredigt (7, 28) zeigt auf jeden Fall, dass Jesus die Menge nicht zurückgelassen hat, sondern dass sie seine Rede hat mitverfolgen können.
Diese Feststellung ist nicht unwichtig, wenn es um die Frage geht, an wen sich die Bergpredigt denn richte. Gilt sie nur den Jüngern, von denen gleich anschliessend berichtet wird, dass sie zu Jesus hinzugetreten seien? Ist die Bergpredigt Jüngerlehre, die in der Folge nur der christlichen Gemeinde gilt und nicht über sie hinaus verallgemeinert werden darf, weil sie alle andern überfordern würde? Ist die Volksmenge nur da, um ein wenig mitzuhören, was Jesus denen zumutet, die ihm nachfolgen wollen?
Oder muss man sich, ausgehend von der geschilderten Anordnung auf jenem Berg, die Zuhörerschaft als “zwei gleichsam konzentrische Hörerkreise” 1) vorstellen: Im inneren, näheren Kreis die Jünger, zuerst angesprochen, aussen das Volk, das aber auch mitgemeint ist, oder wie Klaus Wengst formuliert: “Die Schüler als die ersten Adressaten, transparent für die Gemeinde, sind diejenigen, die sich der Herrschaft Jesu jetzt schon unterstellen und sich deshalb an seinem Regierungsprogramm orientieren und es umzusetzen suchen. Aber sie bilden keinen in sich geschlossenen Zirkel. Auch die Volksmengen sind als Hörende vorgestellt.” 2) Und zu diesen gehört, wenn man gemäss 4, 25 die Herkunft der Menschenmassen analysiert, zumindest andeutungsweise über Israel hinaus die ganze Welt. Mir leuchtet diese zweite Auffassung mehr ein als die erstgenannte. Die Bergpredigt wäre dann so etwas wie ein Fenster, das allen Menschen Einblick gewährt, wie es im Reich Gottes zu und hergeht.
Der Berg, auf dem Jesus seine Rede hielt, wird nicht näher bestimmt. Immerhin heisst es wörtlich im griechischen Text nicht, Jesus sei auf “einen Berg” gestiegen, wie teilweise übersetzt wird [Luther, Gute Nachricht, Neue Genfer Übersetzung (NGÜ)], sondern, auf “den Berg”. Vielleicht wussten die ersten, welche das Matthäusevangelium lasen, noch genau, welcher Berg gemeint war. Heute wird eine Erhebung am Nordende des Sees Genezareth als “Berg der Seligpreisungen” und damit der Bergpredigt angenommen.
Es gibt Ausleger, die mit diesem Berg als Ort der Verkündigung Anspielungen an den Berg Sinai verknüpfen, auf den Mose hinaufgestiegen ist, um von Gott seine Weisungen für das Volk Israel zu empfangen, oder jedenfalls eine Anspielung auf eine enge Verbundenheit des Lehrenden mit Gott. Interessant ist immerhin, dass Matthäus noch eine weitere wichtige Rede von Jesus erwähnt, die dieser auf einem Berg gehalten hat (24, 3), dort ausdrücklich nur für den Jüngerkreis.
An beiden Stellen fällt auf, dass Jesus sich für die Rede setzte und die Jünger zu ihm hintraten und offenbar standen, also gerade umgekehrt zu unseren Gepflogenheiten. Susanne Schmid erklärt mit einem weiteren Verweis (Lukas 4, 20), dass wer damals einen öffentlichen Lehrvortrag hielt, sich dazu immer hingesetzt habe3). Allerdings gibt es durchaus auch Beispiele von Reden, die stehend gehalten wurden (z.B. Apg. 1, 15; 5, 34) Aber mit dem Sitzen an unserer Stelle wird sicher die besondere Würde von Jesus betont. Diese Ehre kam in der Antike Herrschern, Richtern und Lehrern zu – Ämter, die alle auch auf Jesus zutreffen.
Nachdem sich Jesus niedergelassen hat, treten seine Jünger zu ihm. Die Szenerie wirkt auch aus der Ferne noch feierlich, und man ist gespannt, was jetzt wohl geschieht. Doch bevor die Rede beginnt, noch ein paar Gedanken zum Verhältnis von Jesus und diesen ihm nahestehenden, von den meisten Bibelübersetzung als “Jünger” bezeichneten Menschen. Zutreffender wäre wohl der Begriff “Schüler” und entsprechend für Jesus dann “Lehrer”, denn in diesem Verhältnis standen sie zueinander. Diese zwölf von ihm berufenen Männer waren Lernende. Es hat, nebenbei, also durchaus seine Berechtigung, wenn im Chorfenster der Weininger Kirche der lehrende Jesus abgebildet wird. Das Lehren war eine seiner wichtigen Tätigkeiten.
Und nun also fängt er damit an
Matthäus 5, 2
Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie:
Mir scheint es überinterpretiert, wenn man daraus ableiten will, dass Jesus besonders laut und deutlich gesprochen habe, damit alle ihn verstehen konnten. Auch die Interpretation von Susanne Schmid, es sei hier gemeint, dass Jesus seinen Mund aufgetan habe, das heisst, aus eigener Autorität bzw. als Bevollmächtigter von Gott gelehrt habe und nicht wie die Schriftgelehrten nur die Meinung eines ihrer Lehrer wiedergegeben habe, finde ich zu weit hergeholt. Meiner Ansicht nach handelt es sich einfach eine an hebräische Ausdrucksweise angelehnte Wendung für “Er fing an zu reden” (vgl. Hiob 3, 1; Dan. 10, 16)
1)Luz Ulrich, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, 1/1, Das Evangelium nach Matthäus, Zürich/Einsiedeln/Köln, 1985, S. 197
2)Wengst, Klaus. Das Regierungsprogramm des Himmelreichs: Eine Auslegung der Bergpredigt in ihrem jüdischen Kontext, S.31. Stuttgart 20192, Kindle-Version.
3)Schmid-Grether, Susanne. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Kindle-Version.