Die zweite “Antithese”- wo Ehebruch anfängt, und wie man(n) ihn vermeidet

Matthäus 5, 27-30

27 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst nicht ehebrechen! 28 Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.

29 Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoss gibt, reiss es aus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, eines deiner Glieder geht verloren, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. 30 Und wenn deine rechte Hand dich zu Fall bringt, hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, eines deiner Glieder geht verloren, als dass dein ganzer Leib zur Hölle fährt.

Die zweite “Antithese” ist ähnlich konstruiert wie die erste, einfach kürzer. Wieder wird eines der zehn Gebote zitiert, daran anschliessend folgt die Auslegung durch Jesus.  Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass mit der “Frau” die Ehefrau eines anderen Mannes gemeint ist. Im Fokus ist somit nicht die Frau allgemein, wie im Laufe der Auslegungsgeschichte manchmal die Verschärfung von Jesus nochmals “verschärfend” interpretiert worden ist. Hintergrund für die vorliegende, auf den Mann bezogene Formulierung, ist das damalige patriarchal geprägte Recht: “Der Mann kann die eigene Ehe nicht brechen,  sondern nur die eines anderen Mannes, indem er mit dessen Frau schläft.”1)  Verurteilt wird deshalb sein “absichtsvolles Anblicken mit dem Ziel, eine fremde Ehe zu brechen.”2)

Recherchen durch die von mir zugezogenen Exegeten zeigen einerseits, dass zahlreiche fromme Juden und ihre Rabbinen damals der Meinung waren, dass die Frauen an sich sozusagen die Wurzel des Übels seien. Deshalb wurde geraten, man solle sich vor unnötigem Kontakt mit ihnen hüten, nicht unnötig mit ihnen reden (nicht einmal mit der eigenen…), sie nicht zu grüssen und eben auch nicht anzuschauen, um sich nicht in Gefahr zu begeben. Diese Haltung hat Jesus sicher nicht unterstützt. Das lässt sich an seinem Umgang mit Frauen deutlich sehen. Andererseits ist das, was er zum Thema “Ehebruch” ausführt, nichts in dem Sinne Neues, dass es nicht im Judentum auch schon gelehrt worden wäre. Mit den Worten von Wengst: “Jesus sagt also in Matthäus 5,28 nichts Revolutionäres, nichts aufregend Fortschrittliches, sondern mit den religiösen Autoritäten seiner Zeit und nach  ihm im Judentum etwas sehr Schlichtes, aber ebenso Beherzigenswertes und  Förderliches: nicht die Ehe zu brechen und dem Ehebruch auch da schon  nicht Raum zu geben, wo er entsteht: im Herzen.”3)

Vers 29-30 wird in aller Regel nicht wörtlich verstanden. Da schliesse ich mich an und verstehen die Rede hyperbolisch. Am Beispiel des Auges lässt sich das auch gut begründen, denn es ist ja nicht so, dass das Ausreissen eines Auges – das rechte ist vielleicht genannt, weil rechts als besser angesehen wird als links – etwas “nützt”. Das übriggebliebene linke Auge würde dasselbe sehen wie vorher beide zusammen, und es ist nicht so, dass das eine Auge das Objekt seines Sehens selber und anders beurteilt als das andere. Es handelt sich vielmehr um eine äusserst scharfe Aufforderung, mit allen Mitteln, und seien sie noch so einschneidend, die Sünde zu vermeiden. Immerhin erfolgt die Warnung vor dem Horizont des jüngsten Gerichtes, wenn am Schluss von der Hölle die Rede ist. Auch wenn diese “Antithese” nicht zusätzlich verschärft zu werden braucht (siehe oben), verlangt sie doch viel. Die Ehe erscheint als schützenswerte und Respekt gebietende Institution. Das gibt natürlich im heutigen gesellschaftlichen Umfeld zu Fragen Anlass (siehe unter der Rubrik “Thesen und Fragen”). 

  1. Wengst, a.a.O., S. 92
  2. Luz, a.a.O, S. 264
  3. a.a.O., S. 95

Fallbeispiele zur ersten Antithese

Matthäus 5, 23-26

23 Wenn du nun deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dort einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, 24 dann lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen und geh, versöhne dich zuerst mit deinem Bruder; dann komm und bring deine Gabe dar.

25 Verständige dich mit deinem Gegner in einem Rechtsstreit unverzüglich, solange du mit ihm unterwegs bist, damit er dich nicht dem Richter übergibt und der Richter dem Gerichtsdiener und man dich ins Gefängnis wirft. 26 Amen, ich sage dir: Du wirst von dort nicht herauskommen, bis du den letzten Heller bezahlt hast.

Jesus führt zwei Fallbeispiele an, welche die “Antithese” von V.21-22 in gewisser Weise illustrieren. Es geht jetzt allerdings nicht mehr in negativer Redeweise um das Vermeiden von Mord in Wort oder Tat, nicht um Beispiele, wie man sich vor Zorn oder Gewalt schützen kann, sondern mit positiver Blickrichtung um Versöhnung. Die Beispiele setzen also im Prinzip eine schon geschehene Übertretung des vorher genannten verschärften Gebotes voraus.

Das erste Beispiel, V. 23-24, spricht den ungeheuchelten Gottesdienst an. Jemand ist im Begriff, durch den Priester eine Opfergabe auf dem Altar (gedacht ist an den Altar im Tempel zu Jerusalem) darbringen zu lassen. Da wird ihm bewusst, dass einer seiner Mitmenschen etwas gegen ihn hat; wohlbemerkt: Nicht er selber gegen den anderen, sondern der andere gegen ihn, den Opfernden. Dann soll er, so die Aufforderung von Jesus, die Opferzeremonie unterbrechen und sich zuerst mit dem anderen versöhnen. Exegeten wie Wengst und Luz lassen sich über die “praktische Undurchführbarkeit” dieser Forderung aus. Wenn jemand beispielsweise aus dem Tagereisen entfernten Galiläa zum Opfern hergekommen ist, ist es kaum möglich und zumutbar, dass er den weiten weg nochmals hin- und zurückgeht, bis er nur schon sein Opfer bringen kann. So wird deutlich, dass hier eine so genannte “hyperbolische Redeweise”1) vorliegt, also eine übertreibende Schilderung, um einen Sachverhalt zu verdeutlichen. Wengst bringt die Sachlage folgendermassen auf den Punkt: “Das Opfer bezieht sich auf das Verhältnis des Menschen zu Gott; das wird zweitrangig, wenn das Verhältnis zwischen Mensch und  Mitmensch gestört ist. Man kann und darf nicht Gottesdienst üben und dabei  mit seinem konkreten Mitmenschen in Feindschaft leben.”2) Und Rienecker bilanziert: “Solange das Verhältnis zum Bruder nicht ins Reine gebracht ist, solange ist alles Beten und Bibellesen und jeglicher Gottesdienst nicht nur zwecklos, sondern Belastung, Versündigung.”3)

Auch hier greift Jesus alttestamentliche Forderungen auf und spitzt sie zu. Vgl. dazu Psalm 15, 2-4; Psalm 24, 3-4; Hosea 6,6.

Das zweite Beispiel schildert eine Situation vor einer Gerichtsverhandlung. Selbst die letzte Chance, noch auf dem Weg zum Gericht, soll noch genützt und Versöhnung mit dem Prozessgegner gesucht werden. So lässt sich für einen Schuldner Schlimmeres vermeiden, Haftstrafe bis der letzte “Quadrant”  – das ist die kleinste römische Münze – bezahlt ist. Auch hier lassen sich Parallelen im Alten Testament finden, vgl. Sprüche 6, 1-5. Interessant ist aber die Auslegung von Luz, der hinter dieser ganz “irdisch-alltäglichen” Situation und dem praktischen Ratschlag sozusagen das kommende Endgericht4) durchschimmern sieht. Unser Alltagsverhalten hat demgemäss immer auch eine Bedeutung vor Gott und soll vor ihm verantwortet werden.

  1. Wengst, a.a.O., S. 89; vgl. Luz, a.a.O., S. 259
  2. a.a.O, S. 89
  3. a.a.O., S. 59
  4. a.a.O., S. 260

Die erste “Antithese”- Wo das Morden anfängt, und wie man es verhindert.

Matthäus 5, 21-22

Ihr habt gehört, dass zu den Vorfahren gesagt worden ist: ›Du sollst keinen Mord begehen! Wer einen Mord begeht, soll vor Gericht gestellt werden. ‹Ich aber sage euch: Jeder, der auf seinen Bruder zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu seinem Bruder sagt: ›Du Dummkopf‹, der gehört vor den Hohen Rat. Und wer zu ihm sagt: ›Du Idiot‹, der gehört ins Feuer der Hölle.

“Ihr habt gehört, dass … gesagt worden ist” Neuere Bibelübersetzungen, die sich um eine verständliche Sprache bemühen, vereinfachen gerne: “Ihr wisst, dass…” Aber mir scheint, das “gesagt” und auf der anderen Seite “gehört” bringt doch noch einen gewissen Akzent ins Spiel. Das Wort, das Gott sagt, muss auch immer wieder weitergegeben, neu gesagt und erklärt und von Empfängerseite gehört und angenommen werden. Mit den Vorfahren ist die Generation gemeint, die am Sinai die zehn Gebote erhalten hat. Eines davon wird hier nun von Jesus zitiert, das Tötungsverbot (vgl. 2. Mose 20, 13 und 5. Mose 5, 17). Die Fortsetzung: “Wer einen Mord begeht…” ist nicht direktes Zitat aus dem Alten Testament, sondern eine Zusammenfassung verschiedener Stellen, die auf Mord die Todesstrafe festsetzen. Diese wird durch das Gericht verfügt.

Die folgende Antithese – oder nennen wir es vielleicht besser: Verschärfung der alttestamentlichen Bestimmungen – ist dreigliedrig aufgebaut. Bei der ersten ist die Bestimmung im Nachsatz die gleiche: “… gehört vor Gericht”. Das gilt aber jetzt in der Verschärfung durch Jesus nicht erst für einen ausgeführten Mord, sondern bereits für jeden “… der auf seinen Bruder zornig ist” Bruder (und Schwester) haben die ersten Leser und Leserinnen des Matthäusevangeliums vielleicht zuerst an die Glaubensgeschwister gedacht, aber mir scheint die Bemerkung von Wengst, der in dem Ausdruck hier eine Tendenz zu einem weiteren Verständnis sieht, richtig. Er übersetzt folglich: “Mitmensch”.1)

Der im nächsten Glied folgende Ausdruck, oben mit der Neuen Genfer Übersetzung mit “Dummkopf” wiedergegeben, müsste vielleicht noch genauer mit “Hohlkopf” übersetzt werden. Es ist ein Schimpfwort, aber kein allzu starkes, eher eines, das Geringschätzung oder Verachtung ausdrückt und offenbar gegenüber Dienstboten gelegentlich gebraucht wurde. Das im dritten Vordersatz angeführte Schimpfwort war gebräuchlich und hat eine ähnliche Grundbedeutung, also etwa “dumm”, “töricht”, “einfältig” oder als Substantiv wie oben “Idiot” oder “Tölpel”.

Oft diskutiert wird die Frage, ob die drei Satzglieder ihrerseits nochmals eine Steigerung oder Verschärfung beinhalten. Obwohl ich mich in antiken Schimpfwörtern nicht wirklich auskenne, scheint mir so eine Steigerung mindestens für die Vordersätze kaum vorzuliegen, jedoch durchaus für die Nachsätze. Da ist zuerst einfach vom Gericht oder Gerichtsurteil die Rede, im zweiten Nachsatz vom Sanhedrin, dem Hohen Rat, der obersten jüdischen Gerichtsinstanz, im dritten dann vom Feuer der Hölle, was doch dem Ergebnis eines Gerichtsurteils vor Gott entspricht.

Jesus betrat mit dieser seiner Auslegung nicht gänzlich Neuland. Es gab in jüdischen Texten durchaus Anklänge, etwa einen Satz von Rabbi Elieser ben Hyrkanos: “Wer seinen Mitmenschen hasst, siehe, der gehört zu denen, die Blut vergiessen.” Aber sicher hat Jesus die Wahrheit, dass das Töten nicht erst beginnt, wenn jemand das Gewehr anlegt und abzieht, mit grösserer Schärfe auf den Punkt gebracht. (vgl. dazu Markus 7, 21-23).

Nimmt man die Aussage von Jesus ernst – und ich wüsste nicht, was dagegen sprechen sollte – dann lautet die Konsequenz aber, dass letztlich jeder Mensch an diesem Gebot schuldig geworden ist bzw. es in seinem Leben wird. Denn wer könnte von sich sagen, noch nie einen Mitmenschen in der erwähnten Art beschimpft zu haben oder wenigstens über ihn zornig geworden zu sein. Oder wie es der Apostel Paulus dann kurz und prägnant formuliert: “Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.” (Römer 3, 10) Schon die Anfangskapitel des Matthäusevangeliums führen uns unsere Erlösungsbedürftigkeit vor Augen. Die nächsten Verse zeigen dann aber auch einen Weg auf, wie wir unsere Beziehungen zu Mitmenschen gut gestalten bzw. wieder herstellen können.

Die so genannten Antithesen  Matthäus 5, 21-48

Vorbemerkungen

Ab Vers 21 bis Kapitelsende Vers 48 folgen sechs Abschnitte, in denen Jesus sich zu Gesetzesvorschriften aus dem Alten Testament äussert. Sie werden häufig als “Antithesen” bezeichnet, weil sie mit den Worten: “… ich aber sage euch…” eingeleitet werden. Aber sind es denn überhaupt wirkliche Antithesen? – Eine knifflige Frage, die unterschiedlich beantwortet wird.

Susanne Schmid geht vom einleitenden Satz aus: “Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist” (V. 21a). Sie versteht ihn so, dass Jesus damit auf die mündliche Überlieferung, nicht auf die schriftliche Torah (die Bibel) Bezug nehme. “Ihr habt gehört” bedeute in der Gelehrtensprache jener Zeit soviel wie: “Ihr habt als Tradition empfangen”. Weiter bedeute: “Es ist gesagt worden” ebenfalls soviel wie: “Es ist als Tradition gelehrt worden”. Das Besondere und Unerhörte an der Rede Jesu sei nun, dass er mit dem: “Ich aber sage euch” in eigener Autorität lehre und sich nicht auf andere Gelehrte berufe und somit seinen Jüngern eine eigene, neue Auslegung des biblischen Wortes gebe.

Der Bezug des “Ihr habt gehört” auf die Tradition sieht sich aber mit dem Problem konfrontiert, dass zumindest in der zweiten (ehebrechen) und in der fünften (Auge um Auge) Antithese direkt aus dem Alten Testament zitiert und nicht Gelehrteninterpretation referiert wird. Das “Ihr habt gehört” kann durchaus allgemeiner und muss nicht zwangsläufig als “Fachausdrucks verstanden werden. Also etwa im Sinne von: “Man hat euch – z.B. in der Synagoge –  gelehrt, dass…” Weiter ist die formelhafte Wendung “Es ist gesagt worden” in ihrer charakteristischen Passivformulierung wohl eher auf Gott selber zu beziehen als auf die Tradition: Gott selber hat zu den Alten, d.h. zu den Menschen der Sinaigeneration, gesagt… Dieser Passivwendung – und nicht etwa dem “Ihr habt gehört” –  steht das “Ich aber sage euch” gegenüber. Das würde insgesamt dann aber bedeuten, dass Jesus seine Worte dem Alten Testament selber gegenüber stellt und nicht bloss dessen Auslegung durch (andere) Gelehrte. So versteht es jedenfalls Luz.1)

Noch etwas weiter als Schmid geht Wengst. Wortreich und etwas gar weit hergeholt versucht er zu zeigen, dass das “Ich aber sage euch” an dieser Stelle zwar vom Wortlaut her nicht falsch, aber doch unpassend übersetzt sei. Weder sei das Ich von Jesus betont, noch ein Gegensatz zu den zitierten Worten beabsichtigt, vielmehr müsse man es als: “Und ich sage” verstehen, im Sinne von: “Ich lege das so aus”2)  (ähnlich übersetzt übrigens die “Bibel in gerechter Sprache”). Nicht zuletzt geht es Wengst darum, bei der Auslegung nicht in eine “antijüdische Falle”3) zu tappen. Wer das “Ich aber sage euch” so verstehe, dass Jesus damit die eigentliche, ursprüngliche Bedeutung der Gebote herausstellen wolle, tappe eben in diese Falle, indem so die bisher erfolgte jüdische Auslegung zwangsläufig abgewertet werde.4) Andererseits wäre zu fragen, weshalb Matthäus, wenn er wirklich die Aussagen von Jesus in keiner Weise “antithetisch” hätte darstellen wollte, das nicht sprachlich eindeutiger formuliert hat. Das Griechische hätte ihm sicher Möglichkeiten dazu gegeben.

Gegen die oben skizzierte Auffassung von Luz wiederum wäre einzuwenden, dass sich in den Auslegungen von Jesus “nichts” findet, “was nicht auch in rabbinischer Überlieferung zu finden wäre oder stehen könnte.”5) , was den Begriff Antithese fraglich macht. Etwas vorsichtiger räumt Luz selber ein: “Um so verblüffender ist aber, dass mindestens einige Antithesen inhaltlich nichts enthalten, was in jüdischer Überlieferung nicht auch zu finden wäre.”6)

Also doch keine “Antithesen”? – Auf jeden Fall eher eine Überbietung als eine Auslegung des Alten Testamentes, wie Luz selber formuliert.7) Zu beachten auch seine Bemerkung, dass es sowohl in der ersten wie in der letzten “Antithese”, also sozusagen dem Rahmen des ganzen Abschnittes, um die Liebe geht.8) Wieder einmal könnte sie, so wie sie durch Jesus in diese Welt gekommen ist, der Schlüssel sein – im Blick auf das, was er selber zu den Geboten sagt und damit auch im Blick auf die “bessere Gerechtigkeit” von Vers 20. Aber prüfen wir die einzelnen Abschnitte darauf hin.

1) So Luz ausführlicher a.a.O., S. 248f

2) Wengst, a.a.O. S. 80

3) a.a.O. S. 81

4) a.a.O. S. 81

5) a.a.O. S. 80

6) a.a. O. S. 249

7) ebenfalls S. 249

8) a.a.O. S. 250

Jesu Stellung zum Gesetz, Matthäus 5, 17-20 II

Matthäus 5, 19

Wer also auch nur eines dieser Gebote auflöst, und sei es das kleinste, und die Menschen so lehrt, der wird der Geringste sein im Himmelreich. Wer aber tut, was das Gebot verlangt, und so lehrt, der wird gross sein im Himmelreich.

Zwar steht in diesem Vers im Griechischen am Anfang ein “einfacheres” Verb als in V. 17 (der Unterschied lässt sich im Deutschen ungefähr mit “auflösen” und “lösen” wiedergeben), aber von der Bedeutung her besteht kein grosser Unterschied. Wahrscheinlich, so legt der zweite Versteil nahe, ist beides angesprochen: Das eigene Übertreten und das Ausserkraftsetzen in der Lehre. So versteht es auch die Übersetzung ‘Neues Leben. Die Bibel’: “Wenn ihr also das kleinste Gebot brecht und andere dazu ermuntert, dasselbe zu tun,…”

Jesus ermahnt somit besonders diejenigen, welche über Lehrbefugnisse verfügen, auch nicht die als unbedeutend angesehenen Gebote für ungültig zu erklären. Die rabbinischen Lehrer haben unterschieden zwischen leichten und gewichtigen Geboten, je nachdem, was für ihre Erfüllung geleistet werden musste bzw. je nach Lohn, der für ihre Einhaltung verheissen war. Für Jesus spielen solche Unterscheidungen im Endeffekt keine Rolle. Sogenannte kleine Gebote entsprechen den Jotas und Häkchen von V. 18, die nicht vergehen sollen.

Gibt es denn, wie dieser Vers nahelegt, Abstufungen, Hierarchien, Rangordnungen oder dergleichen im Himmel(reich)? –  Es gab im damaligen Judentum solche Vorstellungen1). Auch die Bitte der Mutter der Zebedäussöhne, (20, 21), dass ihre Söhne zur Rechten und zur Linken von Jesus sitzen dürfen im Reich Gottes, geht davon aus. Jesus antwortet, dass es nicht in seiner Kompetenz stehe, diese Bitte zu erfüllen, bestreitet aber nicht, dass es solche Ehrenplätze gibt. Vgl. auch 18, 1-4.

Interessant ist die Aussage, dass wer die kleinen Gebote der Torah nicht befolgt, offenbar nicht aus dem Himmelreich ausgeschlossen werden soll, sondern dort einfach im untersten Rang platziert wird. Oder meint die Formulierung doch verklausuliert den Ausschluss, wie verschiedene Ausleger vermutet haben? Mir scheint die erste Deutung wahrscheinlicher.

Aber wie auch immer, man sieht daraus, als wie bedeutsam im Matthäusevangelium die ganze Torah geachtet wird. Luz schreibt dazu: “Für Matthäus ist es – von Jesus her – prinzipell klar, dass “Recht, Barmherzigkeit  und Treue”, also faktisch das Liebesgebot, das Hauptgebot ist und Gebote wie das des Verzehntens (23, 23) … Jotas und Häkchen. Das Liebesgebot steht im Zentrum; die Zeremonialgesetze sind zweitrangig. Aber sie sind auch Teile des Gesetzes, das Jesus im ganzen erfüllt.”2)

  1. Ausführlicher bei Luz, a.a.O. S. 238f
  2. a.a.O., S. 240

Matthäus 5, 20

Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen.

Vers 20 ist so etwas wie der Titel über den ganzen folgenden Abschnitt, eine voranstehende Zusammenfassung der folgenden “Antithesen”, vergleichbar dem Lead eines heutigen journalistischen Textes.

Der Anschluss an Vers 19 erfolgt mit einem “Denn…”. Das macht deutlich, dass die 17-19 erwähnte Torah Bestandteil der Gerechtigkeit ist, von der nun die Rede ist. Es geht hier eindeutig um Gerechtigkeit, die der Mensch tut (vgl. 3, 15)1) Die Lutherübersetzung “Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist, …” legt eine qualitative Unterscheidung nahe. Aber eigentlich geht es um eine quantitative Unterscheidung: “Wenn eure Gerechtigkeit nicht in messbar höherem Mass reichlicher vorhanden ist als die der Schriftgelehrten…”2) oder: “Wenn eure Gerechtigkeit  nicht in größerem Überfluss vorhanden ist…”3)

Gefragt ist also ein höheres Mass an Toraherfüllung, ein Mehr an grossen und kleinen Geboten, die beachtet werden. Dazu gehört ein Übereinstimmen von Rede und Leben. In 23, 3 wird das Thema aufgegriffen. Jesus kritisiert die Schriftgelehrten und Pharisäer, weil bei ihnen Reden und Handeln nicht zusammenpassen: “Was immer sie euch sagen, das tut und haltet! Nach dem, was sie tun, aber richtet euch nicht, sie reden nur, aber tun nicht danach.”

Man kann sich nun im Vorausblick auf die folgenden sogenannten “Antithesen” mit ihren Verschärfungen der Gebote fragen, ob diese quasi einen neuen “Zaun um die Torah” bilden sollen und damit helfen, die Gebote auch sicher einzuhalten. Ich zitiere dazu eine aus meiner Sicht wichtige Bemerkung von Luz: “Das entscheidende ist vielmehr für Matthäus dies, dass das Liebesgebot zur Mitte dieser verschärften Einzelgebote wird. … Von den Antithesen her bedeutete die bessere Gerechtigkeit der Jünger nicht nur eine – an der Tora gemessene – quantitative Steigerung der Gesetzeserfüllung, sondern vor allem eine – an der Liebe gemessene – qualitative Intensivierung des Lebens vor Gott.”4)

  1. Luz, a.a.O., S. 240
  2. Luz, a.a.O., S. 240
  3. Wengst, a.a.O., S. 75
  4. Luz, a.a.O., S. 241

Aktualisierung

Was bedeutet dieser Abschnitt aber nun für unser Leben als Christenmenschen im 21. Jahrhundert?

Würden diese Verse nicht in der Bibel und dazu noch im Neuen Testament stehen, würden wir sie vielleicht schnell abtun mit der Begründung, es gehe dabei um “Werkgerechtigkeit” und diese sei nach dem Neuen Testament “überholt”. Aber die Bergpredigt ist ja auch Neues Testament, und wir merken immer mehr, dass es den Widerspruch in der erwähnten Art zwischen Gesetz und Gnade für Matthäus nicht gibt. “Für ihn gehört Gesetz zur Gnade … Darum ist es für ihn unmöglich, mit dem Geschenk des von Jesus erfüllten Gesetzes den Gedanken der Werkgerechtigkeit zu verbinden.”1)

Aber wie ist es mit den “spezifisch jüdischen Anteilen” in diesem Gesetz? Wenn wir argumentieren, das Sittengesetz (z.B. die zehn Gebote) sei für uns nach wie vor gültig, das Zeremonialgesetz (Opfersystem, jüdische Feiertage) aber nicht mehr, dann ist diese Unterscheidung im Blick auf unseren Abschnitt ebenfalls schwierig zu begründen.

Können wir uns aus der Affäre ziehen, indem wir auf das “judenchristliche Milieu” des Matthäusevangeliums verweisen? Auf jeden Fall nicht so, dass wir damit unseren Abschnitt quasi über Bord werfen könnten als für uns nicht mehr relevanten Bestandteil der Bibel. Es kann andererseits auch nicht gemeint sein, dass wir zuerst Jude und Jüdin werden müssten, um “richtig” Christen werden zu können. Da sprechen die Apostelgeschichte und die Briefe des Paulus deutlich dagegen.

Es wird nicht ohne manchmal beschwerliches Forschen, Abwägen und Diskutieren abgehen (ch freue mich auf Reaktionen), um in Verantwortung vor dem dreieinigen Gott zu Lösungen zu kommen, welche seinem Willen entsprechen, den Worten der Bergpredigt gerecht werden und das Alte Testament nicht verachten. Jesus Christus hat das Gesetz in allen Teilen völlig erfüllt. Das ist für uns Trost und Rettung, weil wir ihm darin bei allem guten Willen letztlich nicht folgen könnten. Trotzdem bleibt ja Vers 16 als Aufgabe der christlichen Gemeinde bestehen. Durch ihr Leben, ihr Reden und Handeln soll Gott von allen Menschen gepriesen werden.

  1. Luz, a.a.O., S.241

Jesu Stellung zum Gesetz Matthäus 5, 17-20

Vorbemerkungen

“Unsere Verse gehören zu  den schwierigsten im Evangelium.”1) – Huch, wenn das sogar ein namhafter wissenschaftlicher Kommentar zu diesem Abschnitt einräumt, dann wird es wohl so sein… Trotzdem kann man nicht gut darüber hinweglesen, denn diese Verse leiten den Hauptteil der Bergpredigt ein.  Man kann davon ausgehen, dass sie deshalb für Matthäus selber von grosser Bedeutung waren und darlegen wollen, in welchem Sinn man den folgenden Teil verstehen soll. Allerdings deutet eine grosse Bandbreite von Interpretationen an, dass in VV 17-20 tatsächlich manches nicht leicht einzuordnen ist. Ich will im Folgenden versuchen, ein paar Punkte, die mir plausibel erscheinen, festzuhalten.


Matthäus 5, 17

Meint nicht, ich sei gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Nicht um aufzulösen, bin ich gekommen, sondern um zu erfüllen.

“Meint nicht…” spricht die Zuhörenden und mit ihnen die Leserschaft direkt an. Es geht dabei nicht um irgend ein Detailproblem, sondern grundsätzlich darum, wie Jesus das “Gesetz und die Propheten” versteht. “Gesetz und Propheten” war ein feststehender, allgemein bekannter Ausdruck für die damals bestehende Bibel bzw. die heiligen Schriften des Judentums. Hinter dem Begriff “Gesetz” (so zumeist die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen) steht der hebräische Begriff “Torah”. “Gesetz” für “Torah” ist aber einengend, “Weisung”, im Sinne von Wegweisung, Anweisung zu einem gelingenden Leben, wäre eine zutreffendere Übersetzung.

Schwieriger wird es nun, wenn es darum geht, zu bestimmen, was genau mit den beiden Verben “auflösen” und “erfüllen” gemeint ist. Gut nachvollziehbar und an unserer Stelle passend finde ich, wenn man “auflösen” im Sinne von “ausser Kraft setzen” versteht (vgl. Gute Nachricht Bibel; Neue Genfer Übersetzung) und “erfüllen” so, dass Jesus “in seinem Leben durch seinen Gehorsam die Foderungen von Gesetz und Propheten erfüllt, d.h. das Gesetz hält”2) Dies erweist sich in seinem Handeln, in seinem ganzen Verhalten, wozu auch sein Lehren gehört (vgl. nachher die Verse 20-48). In einem weiteren, im Text nicht direkt angesprochenen Sinn, darf man sicher auch darauf hinweisen, dass Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung das Gesetz noch in einer umfassenderen Weise “erfüllt” und zu seinem Ziel gebracht hat. Wie Jesus das Erfüllen im Einzelnen versteht, werden die kommenden Abschnitte zeigen. Der nächste Vers verdeutlicht die Bedeutung des Gesetzes weiter:

  1. Luz a.a.O., S. 230
  2. Luz a.a.O. S. 232, Variante 2b); Wengst, a.a.O. S.  68 legt den Akzent auf “in Geltung setzen”, was m.E. durchaus auch mitschwingt.


Matthäus 5, 18

Denn, amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, soll vom Gesetz nicht ein einziges Jota oder ein einziges Häkchen vergehen, bis alles geschieht.

Die Zürcher Bibel lässt das “Amen” am Anfang des griechischen Textes unübersetzt. Es drückt in der Regel die zustimmende Antwort der Zuhörenden aus. So wird es ja bis heute beim Beten gebraucht. Die Grundbedeutung des hebräischen Wortstammes hat zu tun mit verlässlich, wahr und treu sein. Hier und an anderen Stellen wird das Wort von Jesus selber zur Bekräftigung und Betonung der Wichtigkeit seiner folgenden Aussage verwendet. Die Lutherbibel übersetzt mit dem ein wenig altertümlichen “…wahrlich, ich sage euch…” die Gute Nachricht Bibel umschreibt elegant: “Ich versichere euch…”.

Das Jota im Griechischen oder Jod im Hebräischen ist jeweils der kleinste Buchstabe im Alphabet dieser Sprache in dem Sinne, dass am wenigsten Tinte gebraucht wird, um ihn zu schreiben. Mit den Häkchen (andere übersetzen: Tüpfelchen, Strichlein oder Komma) sind wohl am ehesten Akzente gemeint, die es im Griechischen ähnlich wie im Französischen gibt.

Es ist auch vermutet worden, es könnte sich um Zierstriche handeln die in hebräischen Schriftrollen zum Teil bei bestimmten Buchstaben angebracht worden sind. Aber da diese für die Lektüre und Bedeutung ohne Funktion waren, scheint mir diese Deutung weniger logisch. Mit dem Hinweis auf die einzelnen Buchstaben und Zeichen wird nochmals verdeutlicht, dass die Weisungen Gottes durch Jesus nicht aufgehoben werden, dass sie im Gegenteil bis ins Detail bestehen bleiben “bis Himmel und Erde vergehen”. Das könnte eine bildliche Umschreibung sein für “niemals”, oder es könnte bedeuten, dass das Gesetz bis zum Ende der Welt gültig bleibt. Zusammen mit der nachdoppelnden abschliessenden Wendung “bis alles geschieht”, scheint mir die Erklärung der Wuppertaler Studienbibel am besten zu passen: “Das Gesetz Gottes bleibt bestehen, solange bis der Heilsplan Gottes zu seinem Ziel gekommen ist und bis ein neuer Himmel und eine neue Erde sein werden.”1) Allerdings gilt es zu bedenken, dass in Kapitel 24, 35 Jesus ausdrücklich sagt, dass zwar Himmel und Erde vergehen werden, seine Worte aber nicht. Und diese legen ja u. a. das Gesetz aus. Vielleicht sollte man daher unseren Vers nicht überinterpretieren und ihn im Sinne von Calvin verstehen: „…eher  muß der Himmel einstürzen und das ganze Weltgefüge durcheinandergeworfen werden, bevor die Festigkeit des Gesetzes ins Wanken gerät“2)

  1. Wuppertaler Studienbibel, Fritz Rienecker, Das Evangelium des Matthäus, Wuppertal, 1983, S. 54, Anm. 3
  2.  Zitiert bei Wengst, a.a.O., S. 72

Salz der Erde und Licht der Welt III

Matthäus 5, 15

Auch zündet niemand eine Lampe an und stellt sie dann unter ein Gefäß. Im Gegenteil: Man stellt sie auf den Lampenständer, damit sie allen im Haus Licht gibt.

Wieder sehr bildhaft und einprägsam verdeutlicht Jesus noch einmal die Lichtfunktion derer, die ihm zuhören und vertrauen. Die Stadt auf dem Berg von Vers 14 leuchtet primär für ihre Einwohner, dass ihre Lampen auch denen, die nachts ausserhalb unterwegs sind, leuchten, ist ein damals vermutlich angenehmer Nebeneffekt. Heute spricht man dagegen eher von Lichtverschmutzung. Jedoch der Vergleich mit der Lampe in unserem Vers zielt auf die Absicht. Man zündet abends Lichter an, damit alle im Haus “etwas sehen”. Eine Licht anzünden, damit es Helligkeit verbreitet, ist eine Selbstverständlichkeit, und es würde niemandem einfallen, eine brennende Lampe unter einen Kübel zu stellen. Kerzenlicht oder damals gebräuchliche Öllampen würde man so nicht nur nicht sehen, sie würden auch bald verlöschen. Das in den traditionellen Bibelübersetzungen (Luther, Zürcher) verwendete Wort “Scheffel” bezeichnet ein Massgefäss. Es soll einen Inhalt von ungefähr 8, 75 Liter gehabt haben. Das Licht aber gehört auf einen passenden Ständer, soll damit gut sichtbar sein und so seinen Zweck erfüllen. Es soll allen (!) im Haus leuchten. Es ist demnach nicht nur Leselampe für die eigenen Bedürfnisse.

‘Sein Licht nicht unter den Scheffel stellen’ ist eine noch heute gelegentlich gebrauchte Redewendung für falsche Bescheidenheit. Ist denn gemeint, dass die christliche Gemeinde sich zur Schau stellen solle, nach dem Motto: ‘Tue Gutes und rede darüber?’ – Dass es hier nicht um Selbstdarstellung, nicht um Wichtigtuerei oder sonst eine Form von frommem Narzissmus geht, zeigt der nächste Vers.

Matthäus 5, 16

So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Dieser Vers ist von Bedeutung, weil er hilft, die voranstehenden einzuordnen. Kurz und bündig: Die Christen sind Salz der Erde und Licht der Welt, indem sie ihre guten Werke leuchten lassen.1) Der aufmerksame, aber ein wenig misstrauische Reformierte könnte an dieser Stelle natürlich sofort fragen, ob denn Matthäus “Werkgerechtigkeit” lehre und nicht um die Rechtfertigung aus dem Glauben wisse. Aber um diesen Gegensatz geht es hier nicht. So wie das Licht nur Licht ist, wenn es leuchtet, so ist der Christ nur Christ, wenn er in dem lebt, was ihm zugesprochen ist. Oder wie es Wengst in einer unserer Zeit entsprechenden Interpretation des Lichtes anschaulich ausdrückt: “…  Gemeinde [ist] nur Gemeinde im Vollzug, im Ereignis, in ihren Taten. Jesus hat  seine Schüler sozusagen „unter Strom gesetzt“ und so können sie gar nicht  anders als zu „leuchten“.”2)

Inhaltlich kann man die “guten Taten” recht allgemein fassen und darunter all das verstehen, was in den voranstehenden Seligpreisungen genannt ist und ebenso, was in den Antithesen ab Vers 17 behandelt wird (siehe dort).

Mir scheint, mit diesen guten Taten sollen zwei Ziele verfolgt werden:

  1. ein im besten Sinne missionarisches: Das Licht der Jünger und Jüngerinnen von Jesus soll leuchten vor den Menschen. Zwar steht dieser Satz in einer gewissen Spannung zu Kap. 6, 1 u. 5, mit der wir uns dann dort näher befassen wollen. Aber hier ist doch auffällig, dass nicht an die Verkündigung des  Wortes appelliert wird, sondern dass dem Leben und Wirken der Jesusjünger entscheidende Bedeutung zukommt. Man spricht ja nicht nur durch seine Worte, sondern auch durch sein Tun und lassen, manchmal sogar viel lauter… Das heisst aber gleichzeitig, dass es in der christlichen Gemeinde nie nur um die Predigt des Wortes und damit um die damit Beauftragten (Pfarrpersonen…) gehen kann, sondern dass das Leben und Wirken der ganzen Gemeinde im Blick ist, weil allen in ihr Tätigen Lichtfunktion zukommt.
  2. soll alles Tun des Guten letztlich der Ehre und Verherrlichung Gottes dienen (Soli Deo gloria). Also gerade nicht Zurschaustellung der eigenen frommen Leistung und keine narzisstische Profilierung. Und, was bemerkenswert ist, soll durch die guten Taten der Jünger und Jüngerinnen nicht nur quasi das “interne Lob” der Gemeinde beflügelt werden, sondern sollen alle Menschen, die diese Werke sehen oder davon profitieren, zum Lobpreis Gottes animiert werden. Zum ersten Mal im Matthäusevangelium wird Gott hier übrigens  “Vater im Himmel” genannt. Er ist der, welcher in seiner väterlichen Fürsorge die Gemeinde seines Sohnes leitet und unterstützt in ihrer Salz- und Lichtfunktion und damit im Tun der guten Taten.
  1. vgl. Luz, a.a.O. S. 224
  2.  Wengst, a.a.O. S. 62

Salz der Erde und Licht der Welt II

Matthäus 5, 14

Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben.

Es ist die dunkelste Zeit des Jahres, in der ich diesen Beitrag verfasse. Die Tage sind kurz, die Sonne steht tief und zeigt sich an manchen Tagen gar nicht. Manchmal ist es nötig, das Licht im Pfarrbüro den ganzen Tag brennen zu lassen, um vernünftig arbeiten zu können.

“Ihr seid das Licht der Welt”, sagt Jesus und setzt damit voraus, dass es – in übertragenem Sinne selbstverständlich – in dieser Welt jahraus, jahrein so finster ist, dass es Licht braucht, um sich orientieren zu können. Da mag, wer fortlaufend liest, an Matthäus 4, 16 zurückdenken: “… das Volk, das in der Finsternis sass, hat ein grosses Licht gesehen…”, was wiederum aus Jesaja 9 zitiert ist, einem Text, der auch in Gottesdiensten und Andachten der Adventszeit häufig vorgelesen wird. Dieses grosse Licht wird, das ist nicht erstaunlich, bei Matthäus auf Jesus gedeutet. Dementsprechend bezeichnet Jesus sich selbst in einem der bekannten so genannten “Ich-bin-Worte” als Licht der Welt: “Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das Licht des Lebens haben.” (Johannes 8, 12)

In der Tradition des Judentums wurde die Metapher vom Licht in unterschiedlicher Hinsicht verwendet, bezogen auf Israel, auf die Mosebücher (Torah), auf die Stadt Jerusalem, auf einzelne vorbildliche Lehrer oder Gerechte (vgl. Römer 1, 19), auf den Gottesknecht (Jesaja 42, 6 und 49,6). Da kann man nachvollziehen, dass Jesus sich selber quasi in diese Reihe stellt. Umso erstaunlicher nun aber die Deutung auf die in der Bergpredigt angsprochenen Zuhörer und Zuhörerinnen. Genau wie im voranstehenden Vers 13 ist auch hier das “Ihr” betont, und wieder ist die ganze christliche Gemeinde angesprochen, nicht nur einzelne besondere “Leuchten” oder “Heilige”.

Wieder fragen wir: Wie kann es sein, dass damals völlig unbedeutende Menschen, wie kann es sein, dass wir als heutige Christen Licht der Welt sein sollen?

Wie erwähnt, setzt Jesus voraus, dass die Welt sich in einem Zustand der Finstenis befindet. Aber muss man einer solchen Prämisse heutzutage nicht widersprechen? Immerhin haben wir doch das Zeitalter der Aufklärung erklebt, und es ist doch nicht zu bestreiten, dass mit ihr eine ganze Menge Licht in diese Welt gekommen ist. Lloyd-Jones bemerkt dazu Mitte des letzten Jahrhunderts aber einschränkend: “Unsere Erkenntnis ist eine dingliche Erkenntnis, … eine Erkenntnis des Lebens auf einer rein biologischen und mechanischen Ebene. Aber unsere Erkenntnis über die eigentlichen Faktoren, die erst das Leben zum Leben machen, hat sich überhaupt nicht erhöht.” 1)  – “Was die grossen monumentalen Fragen betrifft – wie wir leben sollen, wie wir das Böse und die Sünde vermeiden können … befinden wir uns immer noch in tiefster Finsternis.”2)

Hat sich daran etwas geändert in den Jahrzehnten seither? – Ich denke, eher nicht. Die Finsternis ist geblieben. Wer aufmerksam duchs Leben geht, empfindet sie manchmal geradezu greifbar. Was aber ebenfalls geblieben ist, ist der Anspruch bzw. die Zusage von Jesus, dass Christen das Licht der Welt sind, Experten des Lebens sozusagen. Dies nicht aufgrund ihrer Schlauheit oder anderer besonderer Fähigkeiten, sondern allein durch Jesus selber. Seine Zusage an uns: “Ihr seid das Licht der Welt” muss zusammen mit seinem Selbstzeugnis: “Ich bin das Licht der Welt” gehört werden. Nur sofern und inwieweit Jesus uns das Licht des Lebens gibt, können wir selbst es sein (vgl. dazu Epheser 5, 8: “Auch ihr gehörtet einst zur Finsternis, ja, ihr wart selbst Finsternis, aber jetzt seid ihr Licht, weil ihr mit dem Herrn verbunden seid. Lebt nun auch als Menschen des Lichts!”).

Ohne Bild gesprochen, geht es darum, dass durch die enge Verbindung des Glaubens mit Jesus er uns verändern kann, und wir etwas von seinem Wesen verinnerlichen. Nochmals Lloyd-Jones: “Als solche, die dem Evangelium glauben, haben wir Licht, Erkenntnis und Unterweisung empfangen. Aber zusätzlich ist das alles auch Teil unserer selbst geworden. Es ist unser Leben geworden, so dass wir es reflektieren.”3) Nochmals von einem anderen Erklärungsansatz ausgehend, kann man darauf hinweisen, dass hier das Wirken des Heiligen Geistes zum Tragen kommt, der in den Gläubigen wohnt, sie prägt und durch sie hindurch wirkt.

Was für eine grosse Aufgabe, die Jesus Christus seiner Gemeinde zugedacht hat. Es ist eine Ehre, Licht sein zu dürfen, aber manchmal auch eine schmerzliche. Denn da, wo das Licht scheint, wird auch die Finsternis erst recht gewissermassen sichtbar. Und nicht immer ist sie gewillt, zurückzuweichen. Manchmal ist es doch so, dass man zwar weiss, was richtig und gut wäre, und dann trotzdem bei dem verharrt, was falsch und verkehrt ist. So hält kurz und prägnant schon Johannes 3, 19 fest:  ”Dies aber ist das Gericht: Das Licht ist in die Welt gekommen, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.”

Es bleibt die Hoffnung, dass das Licht trotzdem sich durchsetzen wird, oder wie der zweite Versteil mit einem neuen Bild veranschaulicht: Eine Stadt, die auf einem Hügel erbaut ist, ist weitherum sichtbar, man könnte ergänzen: durch ihre Lichter sogar in der Nacht. Sie kann dem, der im Finstern wandert, Orientierung geben und ihn in sich aufnehmen. – Ein schönes Bild für die christliche Kirche, finde ich.

1) Lloys-Jones, a.a.O. S. 191

2) a.a.O. S. 192

3) a.a.O. S. 195

Salz der Erde und Licht der Welt I

Matthäus 5, 13

Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz fade geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden.

Ihr seid das Salz der Erde – das “Ihr” ist im griechischen Grundtext durch die Wortwahl und die Voranstellung besonders betont. Ihr – damit ist der gleiche Kreis angesprochen wie in den Versen vorher. Ihr – das sind nicht nur die damals anwesenden Apostel und Schüler von Jesus, sondern mit ihnen die ganze christliche Gemeinde. Ihr – das heisst in diesem Zusammenhang auch: “Ausgerechnet ihr, die ihr verfolgt und geschmäht werdet, seid das Salz der Erde.”1) Offenbar eine besondere Würde, die Jesus den von Menschen Verachteten zumisst! 

Wie aber ist diese Metapher “Salz der Erde” zu verstehen? – Recht schnell klar ist, dass mit der Erde nicht der Erdboden gemeint sein kann, sondern die Welt (vgl. V. 14). So ist denn hier schon die missionarische Funktion der christlichen Gemeinde angesprochen, die dann am Ende des Evangeliums, 28, 18-20 nochmals explizit als Auftrag formuliert wird. Von den Verwendungszwecken des Salzes her kann man versuchen, dem Aussagegehalt des Bildes näher auf die Spur zu kommen. Salz hatte und hat bis heute in der alltäglichen Verwendung hauptsächlich die Aufgaben zu würzen, zu konservieren, damals wohl auch noch zu reinigen. Es versteht sich von selbst, dass das Auftauen gefrorener Strassen noch nicht im Blick war…

Auf welche Funktion aber hat Jesus wohl angespielt? – Dies abschliessend zu entscheiden fällt nicht leicht. Während Lloyd-Jones in seiner Predigt zu diesem Vers die christliche Gemeinde in erster Linie als “Konservierungsmittel” versteht, das die Welt vor dem Zerfall bewahrt, legt sich aus der Sicht anderer Ausleger und auch von der Parallelstelle Markus 9, 49-50 her eher die Funktion des Würzens nahe, nach welcher die christliche Gemeinde die Welt schmackhaft bzw. das Leben in ihr lebbar machen würde. Beides sind grosse Aufgaben, wobei für die damalige, noch sehr kleine und unbedeutende christliche Gemeinde die erste im Blick auf die ganze Welt vermutlich noch unerfüllbarer erscheinen musste als die zweite. Immerhin kann eine Prise Salz schon den Geschmack eines ganzen Topfes Suppe verändern.  Aber es ist m. E. auch nicht auszuschliessen, dass Jesus mit seinem Bild beide Funktionen im Blick hat.

Wie Christen konkret diese Salzfunktion für die Welt wahrnehmen können, zeigt summarisch Vers 16 (siehe dort) und ausführlicher die ganze Bergpredigt. Deutlich wird auf jeden Fall mit beiden Bildern, jenem vom Salz und dem anschliessenden vom Licht, dass die christliche Gemeinde nicht zum Selbstzweck und nicht nur zur eigenen Erbauung existiert, sondern für die Welt da ist und in sie hinein wirken soll.2)

Susanne Schmid weist in ihrer Auslegung darauf hin, dass im Judentum die Torah und dann auch scharfsinnige Torahlehrer als Salz der Erde bezeichnet wurden.3) Dementsprechend könnte sich auch das Salz, als das die Jünger und Jüngerinnen von Jesus bezeichnet werden, der Sache nach auf ihre Verkündigung beziehen. Andere beziehen es auf ihre Weisheit, Opferbereitschaft (das Salz löst sich bei seiner Anwendung auf) oder den Lebenswandel.

Seltsam tönt für unsere Ohren die Fortsetzung des Verses. Je nach Übersetzung ist von Salz, das “fade” (wörtlich sogar: “dumm”), geworden ist, bzw. erklärend, das seine Kraft oder Wirkung oder seinen Geschmack verloren hat und nicht mehr salzt, die Rede. Die anschliessende Frage kann aus dem Griechischen verschieden übersetzt werden, entweder bezogen auf das Salz selber: Wenn das Salz fade geworden ist, “womit soll es, [das Salz] gesalzen werden”, d.h. wieder salzkräftig gemacht werden? Oder wie die Zürcher Bibel: “Wenn aber das Salz fade wird, womit soll man dann salzen”, d.h. womit soll man das Salz dann ersetzen?

Die erste Variante deutet den Vergleich im Sinne einer “unmöglichen Möglichkeit”4). Reines Salz kann seine Qualität gar nicht verlieren und fade werden. Die christliche Gemeinde kann es eigentlich von ihrer Anlage her auch nicht. “Aber es ist eben doch eine Möglichkeit: Sie [d.h. seine Schüler, CF] können die Lehre Jesu vergessen, sie können vergessen, dass ihnen das Himmelreich verheißen ist. Sie können sich dumm stellen und sie können sich dumm anstellen.”5)

Die zweite Variante rechnet damit, dass Salz in der damals in der Antike vorliegenden unreinen Form (vermutlich in der Regel aus dem Toten Meer gewonnen) tatsächlich mit der Zeit durch die Lagerung in seinem Geschmack beeinträchtigt werden kann. Für diese Annahme spricht die Fortsetzung des Verses: Wenn es nicht vorgekommen wäre, dass man Salz tatsächlich wegwerfen musste, hätte Jesus wohl kaum davon gesprochen.

Wie auch immer: Deutlich ist die nachfolgende indirekte Drohung. Ausdrücke wie “hinausgeworfen werden” (vgl. z.B. Matthäus 5, 29; 3, 10)  und “zertreten werden” (vgl. z.B. Jesaja 36, 3.6) spielen auf Gerichtszusammenhänge an. Die hohe Ehre, Salz der Erde zu sein, bringt demnach eine ebenso grosse Verantwortung mit sich, sich ihrer im praktischen Lebensvollzug auch würdig zu erweisen.

  1. Luz, a.a.O. S. 221
  2. Viele christliche Gemeinden und Kirchen halten auch heute diesen Auftrag in ihren Leitbildern oder Zielformulierungen fest, u.a. auch die Kirchgemeinde Weiningen, in der ich tätig bin.
  3. Schmid, a.a.O. Kapitel 3
  4. So z.B. Luz, a.a.O., S. 222
  5. Wengst, a.a.O. S. 61

Die Seligpreisungen IX

Matthäus 5, 11-12

Glücklich zu preisen seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist gross. Genauso haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.

Wie unter Vers 10 schon erwähnt, werden in den Versen 11-12 die Zuhörenden in der zweiten Person Plural direkt angesprochen: “Glücklich zu preisen seid ihr…” Im Blick steht, wie ebenfalls bei Vers 10 angetönt, jetzt nicht mehr ein Verhalten, sondern ein Erleiden. In Leidenssituationen ist so ein direkter Zuspruch sicher besonders willkommen und auch nötig.

“Mit Schmähung und Verfolgung muss die Gemeinde grundsätzlich rechnen”1) Was sich so nüchtern und lapidar festhalten lässt, unterstreichen zahlreiche Stellen im Neuen Testament (z.B. Hebräer 10, 32-34 und besonders nahe an unserem Text: 1. Petrus 3, 14, vgl. auch die folgenden Verse), unterstreichen ebenso unzählige Vorfälle im Laufe der Kirchengeschichte bis in die Gegenwart.

Wie sich dieses schon in Vers 10 thematisierte Verfolgen zeigt, erläutert unsere Stelle genauer: Schmähen, beschimpfen, Böses nachreden, also “verbale Attacken”, aber nicht einfach harmlose Sprüche, sondern “mit sozialer Ausgrenzung verbundene Diffamierungen”2),  verbunden mit “wirtschaftlicher Boykottierung”3). Dass Verfolgung in dieser Weise anfängt, lässt sich auch heute beobachten. Oft lassen es die Urheber und Antreiber aber nicht dabei bewenden, und es kommt zur Eskalation, zu Gefangennahme, Vertreibung, Gefährdung und Auslöschung von Leib und Leben.

Wenn Jesus nun diese düstere Prognose mit einer Seligpreisung verbindet, handelt er da nicht herz- und teilnahmslos? – Zuerst gilt wieder einmal festzuhalten, dass er nicht sozusagen im luftleeren Raum oder in Eigenregie eine weltfremde Theorie entwickelt, sondern einen Text aus dem Alten Testament aufgreift, wo Gott sagt: “Hört auf mich, die ihr die Gerechtigkeit kennt! Volk, das meine Weisung im Herzen trägt! Fürchtet euch nicht vor dem Schmähen der Menschen, und erschreckt nicht vor ihrem Lästern.” Jesaja 51, 7. Diesen Zuspruch greift Jesus auf, führt ihn weiter und kehrt ihn ins Positive: Nicht nur nicht fürchten, sondern sogar freuen sollen sich diejenigen, die verfolgt werden. Das tönt erst recht abwegig. Natürlich kann man nun berechtigterweise dagegen halten, es gehe bestimmt nicht darum, sich in einer Art masochistischen (und wenn man nicht direkt betroffen ist gar bald sadistischen) Weise über erlittenes Leid an sich zu freuen, sondern im Fokus stehe die Freude über den verheissenen Lohn im Himmel. Aber ist das in unseren heutigen Ohren nicht noch einmal abwegig, eine billige Jenseitsvertröstung? – Das wäre allerdings zu kurz geschlossen, denn die hier Angesprochenen sind ja nicht Menschen, die mit dem Leben auf dieser Erde abgeschlossen haben und einfach noch passiv erdulden, was auf sie zukommt. Es sind ja gerade diejenigen, die gemäss den voranstehenden Seligpreisungen leben und sich damit aktiv und überaus engagiert zeigen. Zwar ändert ihre Lebensweise nicht von heute auf morgen die Welt, aber Gott achtet auf ihr Tun und wird es belohnen.

Wenn es um Lohn für geleistete Arbeit geht, sind wir in der Regel schnell dabei, können einschätzen, was wir zugute haben und es auch einfordern. Wenn es um das “geistliche Leben” geht, sind wir im allgemeinen zurückhaltender. Haben wir nicht besonders als Reformierte gelernt, dass “alles Gnade” ist, dass man Gott nicht um Verdienste dienen soll noch kann, geschweige denn, Lohnvorstellungen vorbringen könnte. Trefflich dazu der Kommentar von Lloyd-Jones in seiner Predigt zu diesen Versen: “Die Antwort der Schrift ist, dass eben auch die Belohnung allein aus Gnaden geschieht.”4) Man könnte, im Blick auf den, der den Lohn austeilt, auch sagen: Wir haben einen grosszügigen Gott, der sich freut an Menschen, die seinen Willen tun. Er ist es, der zu allem, was geschieht, das letzte Wort behält, es beurteilt, bewertet und auch reichlich belohnt.

Woraus besteht denn aber dieser Lohn? – Die Frage ist berechtigt, erfahren wir doch an unserer Stelle nichts weiter dazu. Wird er vielleicht hier und anderswo in der Bibel nicht genauer bestimmt, weil er so sehr mit der himmlischen Welt verbunden ist, dass er in menschlichen Worten gar nicht adäquat beschrieben werden kann? – Eine aus meiner Sicht durchaus sinnvolle Vermutung.

Übersehen sollte man überdies nicht, dass diese Seligpreisung sich nicht auf Verfolgung irgendwelcher Art erstreckt, sondern sich explizit auf jene Verfolgung bezieht, die um Jesu willen erlitten wird, weil Menschen ihm nachfolgen und sich in seinem Sinne für Gerechtigkeit, Wahrheit und Frieden einsetzen.

Trost vermitteln, ja zur Freude motivieren, soll auch der letzte Hinweis in Vers 12, dass es nämlich “schon immer” so gelaufen ist, dass auch die Propheten früherer Zeit verfolgt worden sind (vgl. 2. Chronik 36,15–16)  und Christen, denen es gleich ergeht, sich quasi in ihre illustre Reihe einordnen dürfen. Sie sind nicht allein, sondern begleitet und getragen von denen, die Vergleichbares erlitten, standgehalten und überwunden haben. In diesem Bewusstsein kann auch aktuelles Leiden eingeordnet und leichter, ja mutmasslich eben sogar mit einer Freude, welche die irdischen Dimensionen übersteigt, getragen werden.

1)Luz, a.a.O., S. 214

2)Wengst, a.a.O. S. 52

3)Wengst, a.a.O. S. 53

4)Lloyd-Jones, a.a.O. S. 174